Chronische inflammatorische demyelinisierende Polyradikuloneuropathie - DocCheck Flexikon (2024)

Synonym: chronische inflammatorische demyelinisierende Polyneuropathie
Englisch: chronic inflammatory demyelinating polyradiculoneuropathy, CIDP

Inhaltsverzeichnis

  • 1 Definition
  • 2 Epidemiologie
  • 3 Ätiologie
  • 4 Klinik
  • 5 Varianten
  • 6 Differenzialdiagnose
  • 7 Diagnostik
    • 7.1 Diagnosekriterien
  • 8 Therapie
    • 8.1 Akuttherapie
    • 8.2 Langzeittherapie
  • 9 Prognose
  • 10 Literatur
  • 11 Quellen

Definition

Unter der chronisch inflammatorischen demyelinisierenden Polyradikuloneuropathie, kurz CIDP, versteht man eine immunvermittelte Polyneuropathie mit einer Progredienz von mindestens acht Wochen. Der spätere Onset und längere Verlauf grenzt die CIDP vom artverwandten Guillain-Barré-Syndrom ab.

Epidemiologie

Die CIDP ist eine seltene Erkrankung. Die Inzidenz liegt bei zwei auf 100.000 Einwohner. Frauen sind weniger häufig betroffen als Männer. Der Erkrankungsgipfel liegt im höheren Alter.

Ätiologie

Die Ätiologie der CIDP ist nicht abschließend geklärt. Es handelt sich um eine Autoimmunerkrankung, in der Mehrzahl der Fälle kann jedoch keine Ursache für die Autoimmunreaktion gefunden werden. Im Gegensatz zum Guillain-Barré-Syndrom oder zum Miller-Fisher-Syndrom ist die CIDP i.d.R. nicht infektassoziiert. Bei jedem zehnten Patienten tritt die CIDP im Rahmen einer Grunderkrankung auf, vor allem bei rheumatologischen Erkrankungen und bei chronisch entzündlichen Darmerkrankungen (Morbus Crohn, Colitis ulcerosa). Sie wird aber auch beim Plasmozytom und beim nephrotischen Syndrom beobachtet.

Es wird vermutet, dass sowohl eine zelluläre als auch eine humorale Immunreaktion zu der Erkrankung beitragen.

Klinik

Die CIDP verläuft über mindestens acht Wochen progredient und manifestiert sich am häufigsten durch symmetrische, distal beginnende, später aufsteigende Paresen, die von einer Hyporeflexie bis zur Areflexie begleitet werden. Es gibt jedoch auch Formen, bei denen die Symptome proximal betont sind oder nur an den Armen beobachtet werden. Ausfälle der Pyramidenbahn werden nicht beobachtet.

Bei der typischen Form der CIDP sind Sensibilitätsstörungen im Vergleich zur Muskelschwäche in den meisten Fällen relativ gering ausgeprägt, wobei dann die Störung der epikritischen Sensibilität (Vibrationsempfindung, Propriozeption) im Vordergrund steht.[1]

Eine Beteiligung der Hirnnerven wird nur selten beobachtet.

Varianten

Es gibt zahlreiche Varianten der CIDP, unter anderem:

  • das asymmetrisch multifokal verlaufende Lewis-Sumner-Syndrom (MADSAM)
  • der kombinierte Befall des ZNS und PNS, auch als "Combined central and peripheral demyelination" (CCPD) bezeichnet
  • sensorische Verlaufsform der CIDP
  • distale erworbene demyelinisierende symmetrische Neuropathie (DADS)

Differenzialdiagnose

Differenzialdiagnostisch sollte an ein Guillain-Barré-Syndrom gedacht werden. Im Gegensatz zur CIDP zeigt das Guillain-Barré-Syndrom nur eine Progredienz über vier Wochen. Des Weiteren kommt es beim GBS häufiger zu einer Beteiligung der Hirnnerven oder der Atemmuskulatur.[2]

Zudem kommen andere Formen der Polyneuropathie in Betracht, wie z.B.

  • multifokale motorische Neuropathie (MMN)
  • paraproteinämische Polyneuropathien, z.B. bei
    • multiples Myelom
    • Morbus Waldenström
    • Kryoglobulinämie
    • Lymphome
    • Morbus Castleman
  • Vaskulitische Polyneuropathien
  • Polyneuropathie bei Infektionserkrankungen, z.B. durch
    • Borreliose
    • Lepra

Diagnostik

Grundlage sind zunächst Anamnese und klinische Untersuchung.

Bei der Untersuchung des Liquors nach Lumbalpunktion zeigt sich eine erhöhte Proteinkonzentration (bis zu 1.500 mg/l). Es lassen sich weniger als zehn Zellen pro µl nachweisen. Deshalb wird hier oftmals von einer zytoalbuminären Dissoziation gesprochen.

In der Elektroneurographie ist die Nervenleitgeschwindigkeit inhom*ogen verringert, manchmal wird ein Leitungsblock beobachtet. Weiterhin finden sich gemäß unterschiedlicher elektrophysiologischer Kriterien u.a. eine verlängerte distal-motorische Latenz und eine F-Wellen-Latenz.

Wenn in einigen Fällen Unklarheit über die Diagnose der CIDP besteht, wird eine Biopsie des Nervus suralis durchgeführt. Eine Grunderkrankung sollte durch entsprechende Diagnostik ausgeschlossen werden.

Differenzialdiagnostisch kann die Laboruntersuchung richtungsweisend sein. Folgende Untersuchungen helfen bei der Abgrenzung:

  • Immunelektrophorese: möglicher Hinweis auf monoklonale Gammopathie
  • Anti-MAG-Antikörper bei nachgewiesenem IgM-Paraprotein
  • GM1-Antikörper (jedoch ohne therapeutische oder prognostische Relevanz)
  • antineuronale Antikörper bei schwerem Verlauf (z.B. Anti-Hu, Anti-CV2/CRMP5, Anti-Amphiphysin, Anti-Ma2)

Diagnosekriterien

Die Diagnosekriterien der typischen CIDP nach der Guideline der Taskforce aus European Academy of Neurology und der Peripheral Nerve Society sind:[3]

KategorieKriterien
Klinische KriterienAlle der folgenden Kriterien:
  • progressive oder rezidivierende, symmetrische, proximale und distale Paresen der oberen und unteren Extremität
  • sensorische Beteiligung mindestens zweier Extremitäten
  • Entwicklung über mindestens 8 Wochen
  • herabgesetzte oder fehlende Muskeleigenreflexe an allen Extremitäten
Elektroneurografische KriterienBeide der folgenden Kriterien:
  • mindestens ein Zeichen der Demyelinisierung im ENG mindestens zweier motorischen Nerven
  • abnormales ENG mindestens zweier sensorischer Nerven
Supportive Kriterien
  • Ansprechen auf immunmodulatorische Therapie
  • typischer Befund im MRT von Nerven(wurzeln)
  • typischer Liquorbefund
  • typischer Befund in der Nervenbiopsie

Für die CIDP-Varianten existieren abgewandelte Kriterien.

Therapie

Akuttherapie

Zur Akuttherapie werden Glukokortikoide und intravenöse Immunglobulinen (IVIG) oder Plasmapherese eingesetzt. Bei geringer Symptomatik wird Prednison verordnet, wobei an eine Osteoporoseprophylaxe gedacht werden sollte. Bei schwereren Fällen erfolgt eine Therapie entweder mit intravenösen Immunglobulinen, die alle ein bis drei Monate wiederholt wird, oder mittels oralem Dexamethason (Stoßtherapie).

Sind Patienten refraktär gegenüber der medikamentösen Standardtherapie, stellen Plasmapherese oder die Immunadsorption weitere Therapieoptionen dar.

Die IVIG-Therapie und die Plasmapherese sind gleichwertig, eine Kombination bringt keinen Zusatznutzen.

Langzeittherapie

In der Langzeittherapie wird aufgrund des ungünstigen Nebenwirkungsprofils der Glukokortikoide intravenösen Immunglobulinen der Vorzug zu geben. Zur Erhaltungstherapiekönnen auch subkutan applizierbare Immunglobuline (SCIG) eingesetzt werden, die der Patient selbst inji*zieren kann.

Bei therapierefraktären Patienten werden in seltenen Fällen auch Aphereseverfahren als ambulante Dauertherapie durchgeführt. Plasmaaustausch oder Immunadsorption erfolgen dann in regelmäßigen Abständen zur Stabilisierung der Patienten.

Immunsuppressiva wie Azathioprin und Cyclosporin A stellen Reservemittel dar.

Prognose

Bei jedem dritten Patienten kann eine längere Remission beobachtet werden. Die Letalität liegt bei zehn Prozent. Eine ausgeprägte Schädigung der Axone sowie ein höheres Lebensalter bei Erstmanifestation wirken sich ungünstig auf die Prognose aus.

Literatur

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